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Die Novemberszene im Stundenbuch Très Riches Heures des Duc de Berry, der berühmtesten Buchmalerei des französischen Mittelalters, zeigt den Austrieb der Schweine in den Wald für die Versinnbildlichung des Herbstes.

Als Acker und Wald noch zusammengehörten: landwirtschaftliche Waldnutzung im Mittelalter

Wald und Acker sind auf zwei voneinander getrennte Flächen zu finden. So ist es in der heutigen Zeit. Im Mittelalter war dies aber anders. Waldfläche wurde auch als Acker und zur Tierhaltung genutzt. Mit Folgen, die bis heute spürbar sind.

Wald- und Agrarflächen beanspruchen den überwiegenden Teil der Fläche Mitteleuropas. Heutzutage besteht eine klare Abgrenzung zwischen Forst- und Landwirtschaft. Die scharfe Grenze zwischen Wald und Agrarfläche ist auch optisch in der Landschaft gut sichtbar: die Bäume des Waldsaums sind wie auf einer Perlenschnur angereiht. Kein einzelnstehender Baum ragt in die Agrarlandschaft hinein. Meistens beginnt neben dem Waldrand dann schon intensiv genutztes Acker- oder Grünland. Auf eine Wechselwirkung, eine Verbindung zwischen Wald und Agrarlandschaft wird nur noch manchmal hingewiesen, wie auf die stabilisierende Wirkung des Waldes auf das Mesoklima einer Agrarlandschaft.

Wald ist Wald und Acker ist Acker. Aber diese klare Trennung zwischen Forst und Agrikultur bestand nicht immer. Im Mittelalter nutzen die Menschen den Wald aktiv zur Nahrungsmittelproduktion. Schweine und Rinder suchten tagsüber auf den Waldflächen nach Futters, nachts wurden sie auf den Ackerbrachflächen zusammengepfercht. Nährstoffe, welche sie tagsüber im Wald aufgenommen hatten, schieden sie nachts als Exkremente auf die Brachflächen wieder aus. Die so erfolgte Düngung der Agrarflächen war durchaus von den Bauern gewünscht.

Speck, Schinken und Würste von Hausschweinen waren damals sehr beliebte Lebensmittel. Die Eichelmast im Herbst war deswegen besonders wichtig. In dieser Jahreszeit waren reichlich Bucheckern und Eicheln vorhanden an denen sich die Schweine Fettvorräte für den Winter anfressen konnten. Eichen wurden aus diesem Grund als Futterquelle gefördert und stehen gelassen. Die Kronen der Eichen überdeckten gekürzte Bäume, wie Hainbuche, Birke und Hasel, die als Nutzholzquelle dienten und deren Äste regelmäßig gestutzt (geschneitelt) wurden. Ein Mittelwald bildete sich aus. Als Winterfutter wurde v.a. Laub von Ulmen, Linden und Eschen gewonnen. Dort wo keine Eichen vorhanden waren, Bäume aber immer wieder geschneitelt wurden, lichtete sich die Fläche ganz und setzte sich nur noch aus Bäumen zusammen, die eher ein strauchartiges Aussehen trugen. Ein Niederwald bildete sich.

Durch die enge Verzahnung von Schweinehaltung und Waldfläche, wurde der Wert eines Waldes an der Anzahl von Schweinen bemessen, die dieser ernähren konnte. Um die Relevanz der mittelalterlichen Waldnutzung deutlich zu machen: Ernst Schubert berichtet in seinem Buch „Alltag im Mittelalter“ davon, dass Tierhaltung, die im Wald stattfand, ein wichtigerer Fleischlieferant war als das Wildbret, welches dem Wald entnommen wurde.

Schweinehaltung spielte in den Regionen eine Rolle, wo viel Laubwald zu finden war. Zu beachten ist hierbei, dass die massive Wiederaufforstungen mit Nadelhölzern in der Neuzeit erfolgte, d.h. dass die mittelalterliche Verbreitung von Laub- und Nadelhölzern in unseren Breiten nicht mit denen von heute zu vergleichen ist.

Dadurch, dass Schweine im Wald auf Nahrungssuche gingen, fand immer wieder eine Kreuzung zwischen Wildschwein und Hausschwein statt. Die ‚alten‘ Landrassen, die wir heute kennen, sind gar nicht so alt, wie mensch glauben würde. Erst mit der kontinuierlichen Stallhaltung der Haustiere aufgrund von Innovationen im Feldfutterbau (das Vieh musste nicht mehr selbst draußen nach Nahrung suchen, sondern konnte ‚übers Feld‘ gefüttert werden), setzte die gezielte Züchtung von unseren heute bekannten Haustierrassen ein.

Die Rolle von Schafen und Ziegen war weniger bedeutsam als die von Schweinen und Rindern. Beide Haustierarten wurden auf Brach- Stoppelfelder gehalten, denn ihr Verbiss von jungen Trieben war für die Baumverjüngung sehr hinderlich. Schweine richteten weniger Schaden an, wühlten den Boden größtenteils nur auf. Das Fleisch der kleinen Wiederkäuer wurde im Gegensatz zu dem der Hausschweine im Sommer konsumiert.

Schon im frühen Mittelalter wurden die Folgen einer Übernutzung des Waldes erkannt, egal ob es sich dabei nun um Holzentnahme oder Schädigung durch Tierhaltung handelte. Dies führte dazu, dass Wälder von der Obrigkeit unter einem Bann gestellt wurden – die Bannwälder entstanden. Damit wurden die Nutzungsrechte der Bauern stark eingeschränkt und das Jagdrecht und die generelle Nutzung der Waldflächen auf den jeweiligen Grundherren übertragen.

Noch eine andere Art von Tierhaltung fand im Wald statt: die Zeidlerei. Künstlich angelegte Baumhöhlen lockten Bienenvölker an, deren Honig gesammelt und zu Wachs oder Met verarbeitet oder als Süßstoff genutzt wurde. Vor allem Wachs war ein begehrter Rohstoff für die Kerzenproduktion. Vor allem geistliche Einrichtungen wie Kirchen hatten von Haus aus einen großen Bedarf an Kerzen. Met als Rauschmittel war dann präsent, wenn Wein zu teuer oder nicht verfügbar war.

Eine weitere Form der Nutzung zur Nahrungsmittelproduktion stellte die Wald-Feld-Wirtschaft dar. Eine Fläche im Wald wurde von Bäumen und Sträuchern befreit um dort Kulturpflanzen anzubauen. Eine typische Fruchtfolge bestand aus eher anspruchslosen Kulturen wie Roggen, Hafer und Buchweizen. Diese Wirtschaftsform trägt, je nach Region, unterschiedliche Bezeichnungen, z.B. ‚Reutwaldwirtschaft‘ in den Schweizer Alpen und im Schwarzwald oder ‚Scheffelwirtschaft‘ im mittelalterlichen Preußen. Die Äcker im Wald werden auch als Egärten bezeichnet.

Wie aus der Fruchtfolge zu schließen ist, wurde der Wald-Feldbau 1 bis 3 Jahre betrieben. Nach der Nutzung wurde die Fläche wieder sich selbst überlassen. Eine Beweidung durch Vieh erfolgte entweder parallel oder nach dem Anbau der Feldfrüchte. Nachdem die Fläche nicht mehr bewirtschaftetet wurde, setzte die sogenannte sekundäre Sukzession ein. Auf eine vormals offene Fläche kehrten zuerst Gräser und Kräuter zurück. Sträucher und einzelne Baumsamen folgten. Eine Verbuschung setzte ein. Nach einigen Jahren bildete sich so wieder ein Baumbestand heraus und der ehemalige Acker verschwand unter einem Blätterdach. Ein neuer Zyklus der Feldbewirtschaftung begann, wenn die Bäume eine bestimme Höhe und Dicke erreicht hatten, um sie als Nutzholz zu verwenden. Das Holz wurde abgetragen, die Fläche gelichtet und der Ackerbau begann von neuem.

Neben der Nutzung des Waldbodens für den Anbau von Kulturpflanzen wurde der humose Oberboden als Einstreu für Ställe und als Düngemittel für die Äcker außerhalb des Waldes verwendet. Durch diese sogenannte Plaggendüngung wurden dem Wald wichtige Nährstoffe entzogen und auf die Äcker verlagert.

Die agrarische (Ab-)Nutzung von Waldfläche führte im Laufe der Zeit dazu, dass sich bestimmte Kulturlandschaften herausbildeten. Hatte die vormals dichte Waldfläche durch eine intensive Nutzung einen halboffenen Charakter angenommen wurde sie von Rindern und Schafen beweidete, welche ein selektives Fressverhalten zeigten. Pflanzen, die ihnen nicht besonders bekömmlich waren, da sie Dornen, Stacheln, ledrige Blätter oder bittere Teile enthielten wurden gemieden. So breiteten sich z.B. Kiefern, Heidekraut, Stechpalme oder der Wacholder auf den Weideflächen aus. Im Gegensatz dazu schafften es Baum- oder Buschsämlinge nicht mehr hoch zu wachsen, da sie gerne von den Weidetieren gefressen wurden. Aus dem vormaligen Hutewald wurde irgendwann eine Heidelandschaft.

Die Kernflur des mittelalterlichen Dorfes wurde aus Äckern, Gärten und entwässerte Wiesen gebildet. Der Außenbereich um den Wald bildete die Allmende, die Gemeindeflur, welche von jedem genutzt werden konnte. Der Waldrand wurde am intensivsten bewirtschaftet, da der Weg dorthin vom Dorf aus am kürzesten war. Zwischen Grundherren und den Bewohner eines Dorfes entstanden immer wieder Nutzungskonflikte hinsichtlich der Waldflächen. Die Nutzungsrechte für den Wald, vor allem das Recht auf Jagd, lagen oftmals bei den Grundherren. Einige Bauern betrachteten den Wald jedoch als Verlängerung der Allmende und nutzen ihn entsprechend. Üblicherweise musste vor Anlegen eines Waldackers die Erlaubnis des Grundherrens eingeholt werden.

Ende des 18. Jahrhundert setzten sich Verfahren der Wiesenentwässerung (Meloration), die dauerhafte Stallhaltung und neue Kulturpflanzen, wie die Kartoffel, durch. Mit diesem Wandel wurden die Waldweiden und -felder entbehrlich. Nur in Mittelgebirgslagen mit ihren nährstoffarmen Böden blieb die Feld-Gras-Wald-Wechselwirtschaft bis in die Neuzeit bestehen.

Im Mittelalter stand der Wald für das Wilde und Unzivilisierte, ein Ort in dem Hexen, Zwerge und Räuber hausten. Dagegen stand die offene Agrarlandschaft für die Zivilisation. Aus agrarischer Sicht war der mittelalterliche Wald Quelle von Dünge- und Futtermitteln, sowie Anbaustandort für Feldfrüchte. Wovon sich unser Wald bis heute nicht erholt hat, ist der Nährstoffentzug durch Tierhaltung oder Bodenabtrag zwecks Düngung der Agrarflächen außerhalb des Waldes. Dort wo der Wald nicht gerodet wurde, hatte man ihn übernutzt. Erst mit Entdeckung und Nutzung fossiler Energieträger und einer gezielten Aufforstung, konnte sich der Wald langsam erholen.

Quellen

Küster, Hansjörg. Am Anfang war das Korn eine andere Geschichte der Menschheit. C. H. Beck, 2018.

Küster, Hansjörg. Geschichte des Waldes: von der Urzeit bis zur Gegenwart. C. H. Beck, 2014.

Poschlod, Peter. Geschichte der Kulturlandschaft Entstehungsursachen und Steuerungsfaktoren der Entwicklung der Kulturlandschaft, Lebensraum- und Artenvielfalt in Mitteleuropa. Eugen-Ulmer Verlag, 2017.

Schubert, Ernst. Alltag im Mittelalter natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander. wbg Theiss, 2019.

Hampicke, Ulrich. Kulturlandschaft und Naturschutz: Probleme-Konzepte-Ökonomie. Springer Vieweg, 2013.

Goltz, Theodor von der. Geschichte der Deutschen Landwirtschaft. Bd. 1. 2 Bde. Stuttgart, Berlin, 1902.

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