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Das Agribusiness der Zisterzienser*innen

Das erste Kloster der Zisterzienser*innen wurde 1098 von 21 Benediktinermönchen in Frankreich gegründet. Sie wollten zu der Strenge der ursprünglichen Benediktinerregeln zurück. Zur damaligen Zeit wurde dem Orden vorgeworfen, sich allzu sehr der Hab- und Prunksucht hingegeben zu haben. Diese religiöse Reformbewegung passte gut zum Zeitgeist des beginnenden 12. Jahrhunderts. Europa war im Wandel. Zahlreiche Städte und Klöster wurden gebaut, Gewerbe und Handel befanden sich im Aufschwung, die Landschaft wurde immer stärker vom Menschen nach seinen Bedürfnissen geformt, Wälder wurden gerodet und die Kreuzzüge waren im Gange. Ein Teil der Bevölkerung zog nach Osteuropa, um sich dort dauerhaft nieder zu lassen. Die Bevölkerung wuchs und rückte zusammen- auch weil sich das Klima und die Agrartechnik verbesserte.

Sie entflohen der weltlichen Hektik und erschufen eine eigene geistliche Wuseligkeit: eine Zeichnung von der Klosteranlage Walkenrieds


Die Zisterzienser*innen dagegen suchten die Stille an abgelegenen Orten, welche von Wäldern umgeben waren und sich in vorgeschriebenen Entfernung zu Siedlungen befanden. Ein einfaches Leben aus Gebet und Arbeit war ihre Grundidee.
Um dies verwirklichen zu können, lehnten sie es ab, von Abgaben der Bäuer*innen und anderen Einnahmen (zum Beispiel aus Verpachtungen) zu leben. Ihr Ziel war die Selbstversorgung.
Auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation verbreitete sich der Orden der Zisterzienser*innen recht schnell. Die Bewegung wurde sehr stark durch Gründungen von Frauenklöstern und weltlichen Stifterinnen angeschoben. So wurde das 1129 gegründete Kloster Walkenried durch die Gräfin Adelheid von Klettenberg gestiftet. Auf einer Pilgerreise hatte sie Zisterziensermönche getroffen, von denen sie nachhaltig beeindruckt wurde.


Erst sträubten sich die Männer gegen die Aufnahme von Frauen, konnte sich aber ab dem 13. Jahrhundert dem Zeitgeist nicht mehr entziehen und erlaubte auch Frauenkonvente. Sie wurden zur Zugkraft des Ordens. Städte boten den Frauen keinen gemeinschaftlichen Ort mehr und unverheiratete Frauen und Witwen waren zu einem Leben in der Vereinzelung gezwungen. Auch dies trug dazu bei, dass sich fromme Frauen in ein Kloster begaben, um Nonne zu werden. Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und die heilige Gertrud von Helfta wurden bedeutende Namen innerhalb der christlichen Mystik.

Zeiten ohne Covid-19: eine Zisterzienserin begrüßt Besucher*innen mit Handschlag

Das Ideal der Selbstversorgung führte dazu, dass sich aus den Klöstern große landwirtschaftliche Betriebe entwickelten. Trotz der Gleichheit vor ihrem Gott, bildeten sich innerhalb der Klostermauern gewisse Hierarchien aus. Adligen, welche die Schicht der sogenannten Chorschwestern bzw. Chormönche bildeten, wurde mehr Zeit für ihre geistlichen Tätigkeiten zugestanden, weshalb sie weniger Zeit mit handwerklicher oder landwirtschaftlicher Arbeit verbrachten als ihre Laienschwestern und -brüder. Laienschwestern und Laienbrüder (Konversen) stammten meist aus gesellschaftlich niedrigen Schichten, wie die der Bäuer*innen. Die Abgrenzung zwischen Geistlichen adliger und nicht-adliger Herkunft ging soweit, dass sie auch innerhalb des Klosters räumlich getrennt untergebracht wurden oder teilweise sogar nur auf den vom Kloster entfernten Wirtschaftshöfen lebten. Diese Wirtschaftshöfe werden auch als Grangien bezeichnet. Die Arbeit der Laienschwestern und -brüder war aber unverzichtbar. Sie bebauten den größten Teil der Ländereien und machten in der Anfangszeit Sumpf- und Waldgebiete urbar. Trotz der harten Arbeit und der Ungleichbehandlung war ein Leben im Kloster für viele attraktiv – bot es doch gerade den Armen der Bevölkerung ein soziale Absicherung.

Schnell entwickelten die Klöster der Zisterzienser*innen zu produktiven landwirtschaftlichen Betrieben, was auch daran lag, dass sie von vielen Steuerabgaben befreit wurden. Den Klöstern stand also ein enormer Pool an Arbeitskräften zur Verfügung. Billige Arbeitskräfte wurden unter den Armen rekrutiert, indem sie, im Tausch von Essen, Arbeitsdienste zu verrichten hatten. Ein straffes Personalmanagement, auf dessen Leistungsebene Prior*in, Äbissinnen bzw. Abt und Cellerar*in standen, führte zu einer hohen Effizienz im Klosterbetrieb. Kapital wie Landstücke flossen den Klöstern in Form von Schenkungen frommer Adliger zu. Eine klösterliche Buchführung und regelmäßige Kontrolle der Wirtschaftlichkeit von einzelnen Gerangien sowie Geschick bei der Handhabung von Finanzen, trug sein übriges dazu bei.


Die Regeln der Zisterzienser*innen schrieben vor, dass ein Kloster an einer Niederung mit Wasserlauf zu liegen hatte. So nutzten sie die Wasserkraft von Bächen und Flüssen und gestalteten Gewässersysteme nach ihren Bedürfnissen um. Durch cleveren Einsatz von Hydrotechnik gewannen sie Trink- und Brauchwasser für die Landwirtschaft und Handwerk. Teilweise bauten sie sogar unterirdische Leitungssysteme. Da sie kein Fleisch von Landtieren zu sich nehmen durften, wurden sie außerdem Meister*innen der Fisch- und Teichwirtschaft. Die Grangien entwickelten sich zu selbständige Außenbetriebe mit Wohngebäuden, Stallungen, Scheunen und Werkstätten.


In ihrer Agrarwirtschaft waren sie so erfolgreich, dass sie begannen, ihre landwirtschaftlichen Überschüsse und Handwerkserzeugnisse in sogenannten Stadthöfen, städtische Außenfilialen, zu verkaufen. Damit schufen sie quasi mittelalterliche Supermärkte.

Das Kloster Walkenried, dessen Überreste im heutigen Landkreis Göttingen zu finden sind, betrieb Stadthöfe in Göttingen, Goslar, Halberstadt, Nordhausen, Kelbra und Würzburg. An den Stadthöfen angeschlossen waren auch Spitäler, Herbergen und Kapellen. Die Gewinne aus dem städtischen Verkauf flossen zurück ins Kloster und führten zur Anschaffung von noch modernerer Technik. Bald stiegen die Zisterzienser*innen auch ins neue Geldgeschäft ein und schufen sich ein weiteres Standbein in Form von Zinswirtschaft und Rentenverkauf. Gegen Übergabe von Besitz und Bargeld wurde seitens des Ordens eine lebenslange Rente gewährt. Die erste Rentenversicherung war geboren. Mache Klöster investierten zusätzlich in die Montanwirtschaft. So wurde das Kloster Walkenried Miteigentümerin am Bergbaubetrieb am Goslarer Rammelsberg.

Der Rubel muss rollen: Rammelsberg und die Stadt Goslar


Ironischerweise führt all dies dazu, dass sich die Zisterzienser*innen wieder von ihren Ursprungidealen entfernten und sich regelrecht zu den, von ihnen damals kritisierten, Benediktiner*innen verwandelten. Denn auch ihnen wurde im Laufe der Jahre, aufgrund ihrer ungeheuren Produktivität und Kapitalkraft, Habsucht vorgeworfen. In dieser Zeit des Mittelalters wurde eigentlich nur nach Bedarf gewirtschaftet. So zogen sie den Unmut der lokalen Bevölkerung auf sich, da sie den örtlichen Bäuer*innen und Gutshöfen Konkurrenz machten, verkauften sie doch, aufgrund von religiösen Geboten, unter dem eigentlichen Marktpreis.

Das Wirtschaftssystem der Grangien zeigt frühe Formen kapitalistischen Denkens, wie Konzentration von Kapital, Arbeitsteilung, Spezialisierung und Reinvestition. Dennoch schufen sie, aus landwirtschaftlicher Sicht, Musterbetriebe. Sie betrieben erfolgreich Obst- und Weinbau, Pferde- und Fischzucht sowie Bergbau und Wollhandel und verbreiteten in Europa gleichzeitig hochmittelalterliche Kultur.

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